12. Oktober 2014 bis 31. Mai 2015

widerständig und widerspenstig – Jugendkultur in Lichtenberg von 1960–1990

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Jugendlicher Widerspruch ist zu jeder Zeit und an jeden Ort eine allgemeine Erscheinung. Doch in der DDR nahm die SED schon frühzeitig jede Auflehnung in der Gesellschaft sehr ernst und bewegte sich damit in der Tradition überkommener autoritärer Vorstellungen.

Wenn sich der größere Teil junger Menschen auch nicht in vollem Umfang mit den Zielen von SED, FDJ und anderen politischen Organisationen identifizierte, so gab es eine, wenn auch oberflächliche Gefolgschaft, die sich in der Mitgliedschaft und Beteiligung an den Aktivitäten dieser Organisationen ausdrückte.

Nur wenige junge Menschen waren anfänglich in der DDR tatsächlich bereit, die vorgefundene Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, konsequent eigene Lebensvorstellungen zu entwickeln und dafür auch Konflikte und Entbehrungen in Kauf zu nehmen – ein gesellschaftliches Phänomen, das überall im Land anzutreffen war. Kaum unterschieden von Jugendlichen außerhalb der DDR wurden sie beargwöhnt, bespitzelt und verfolgt, weil die politisch Verantwortlichen hinter ihrer jugendlichen Auflehnung einen Widerspruch zu ihrer Politik sahen. Für einige endete die Auflehnung in Erziehungsheimen, so in dem nahe gelegenen Durchgangsheim Stalau, in Gefängnissen oder sie verließen erzwungener Maßen das Land.

Die Ausstellung hat sich die Aufgabe gestellt, diejenigen Gruppen Jugendlicher vorzustellen, die im Laufe der Geschichte auf dem Gebiet des Bezirks Lichtenberg auftraten und die gesellschaftlichen und politischen Konventionen in Frage stellten. Sie sind damit auch ein Ausdruck von sich in den Jahrzehnten vollziehender Entwicklungen überall in der DDR, die 1989 in der Auflösung des SED-Staates mündeten.

Zu den Lichtenberger Protagonisten zählen Beat- und Bluesfans, Punks, Friedens- und Frauenaktivistinnen, Schwulenvereinigungen ebenso wie ein Jugendclub, der eigeninitiativ entstand und handelte. Ebenfalls dargestellt werden Aktivitäten rechter Jugendlicher, auf die mit kirchlicher Jugendarbeit Einfluss genommen wurde und die im Kaskelkiez ansässigen Sinti, aus denen u.a. die Band Sinti-Swing hervorging, die zur Eröffnung zu hören sein wird.

Die Ausstellung dokumentiert die Jahrzehnte zwischen Mauerbau und -fall anhand von Foto-, Film- und Tonzeugnissen und zeigt das in Lichtenberg entstandene Denkmal des unbekannten Deserteurs sowie weitere Exponate der alltäglichen und politischen Jugendkultur aus drei Jahrzehnten.

In monatlichen → Begleitveranstaltungen und wöchentlichen → Schülerwerkstätten wird das Dargestellte vertieft und damit die Möglichkeit gegeben, sich über widerspenstiges und widerständiges Verhalten auch in der Gegenwart auszutauschen.

Die Themen der Ausstellung

Noch zu Beginn der 1980er Jahre wurden Homosexuelle öffentlich diskriminiert. Ein Bekenntnis hierzu hätte die gesellschaftliche Isolation nach sich gezogen. In der Szene kannte man einige Orte, die als Treffpunkte galten: Plätze, Parks, eine Kneipe, eine Disko. Sie waren aber nicht vor Übergriffen von Rechtsradikalen oder vor staatlichen Behörden geschützt. Anfang der 1980er Jahre konnten sich Homosexuelle im Pro-Fi-Keller treffen, wo die Polizei keinen Zutritt hatte und versuchten die Besucher der Friedenswerkstatt mit einem eigenen Stand für ihre Probleme zu sensibilisieren.
 
Zu den aktivsten Friedenskreisen, die sich für politische und wirtschaftliche Veränderungen in der DDR einsetzen, gehörte der Friedenskreis Friedrichsfelde, der in der Gemeinde Alt-Friedrichsfelde aktiv wurde und die Zeitschrift Friedrichsfelder Feuermelder herausgab. Seine Mitstreiter setzten sich konsequent für die Gorbatschow-Politik Glasnost und Perestroika ein.
 

Nicht nur in Liverpool und London gab es Beatfans, auch in der DDR-Hauptstadt. 1965 waren es noch wenig Jugendliche, die den Beatsound hören wollten. Junge Männer mit langen Haaren – Bürger und Volkspolizei waren sich einig: Die brauchen eine bessere Erziehung. Die Jugendlichen, die sich Mitte der 1960er Jahre im Tunnel Lichtenberg trafen - eine der ersten Freiheitsbewegungen in der DDR – wurden in Zeitungen verhöhnt, bald auch verfolgt und bestraft.

 

War die DDR, ein Staat der Völkerverständigung? Die Minderheit der Sinti und Roma erlebte es nicht so. Gewöhnlich begegnete man ihren Vertretern mit althergebrachten Stereotypen, sowohl von Mitbürgern als auch in Ämtern. Gesetze, wie der sogenannte Assi-Paragraf §249, der jedes eigenverantwortliche Erwerbsleben unterband, richteten sich auch gegen die Kultur und Lebensweise der Sinti und Roma. Als Opfer des Faschismus wurden sie erst in den 1980er Jahren anerkannt. Dennoch gelang es ihnen, ihre Kultur und Sprache am Leben zu halten.

 

Der NAPF war ein von seinen Mitgliedern eigenverantwortlich getragenes Kulturprojekt und ein Ort individueller, subkultureller und staatskritischer Selbstverwirklichung. Ungewöhnlich war schon der Start im Oktober 1981: die Besetzung einer leerstehenden Drogerie in der Pfarrstraße 139. Die Weigerung seiner Gründer und Mitarbeiter, die übliche ideologische Einflussnahme in Freizeiteinrichtungen zu akzeptieren, machte den NAPF zu einem einmaligen Jugendtreff in der DDR-Hauptstadt.

 

Eine wichtige Berliner Frauengruppe war die „Frauen für den Frieden“, die sich auch an den Friedenswerkstätten in der Erlöserkirche Lichtenberg beteiligten. Die Gruppe gründete sich, nachdem am 25. März 1982 ein neues Wehrdienstgesetz erlassen wurde, das vorsah, im Verteidigungsfall auch Frauen einzuziehen. Sie schlossen sich als eigene Gruppe den 1970 in Irland gegründeten „Frauen für den Frieden“ an und wurden damit Teil der internationalen Friedensbewegung. Im Herbst 1982 initiierten diese Frauen einen Protestbrief gegen das neue Wehrdienstgesetz, den 150 Frauen unterschrieben.

 

Das Professor-Fischer-Haus war ein Gebäuderest, ein Keller auf dem Kirchengelände, in dem seit den 1960er Jahren Jugendarbeit stattfand. Er wurde auch Pro-Fi-Keler oder Leichenkeller genannt. Nachdem die Punks aus der Friedrichshainer Pfingst-Gemeinde verdrängt worden waren, konnten sich ab 1983 hier treffen. Auf dem Erlöser-Gelände fanden auch 1988-1990 die legendären Punkfestivals FRÜHLINGSFESTE statt.

 

Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern aufgegriffen wurden, kamen zunächst in sogenannten Übergangsheimen unter, aber auch Jugendliche, die aufgrund ihres Verhaltens auffielen und einer „sozialistischen Erziehung“ zugeführt werden sollten. Für die einen Obdach und Zuhause, waren Übergangsheime für andere der Beginn einer qualvollen Zeit, ja der Start in eine kriminelle Karriere.

 

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